Blaues Pferd und schwarzer Rabe

(Janosch)

In unserem Dorf stand einmal ein kleines, wackliges Karussell. Ein alter Mann hielt es in Gang. Früher hatte er es noch in Ordnung gehalten, jetzt war er alt und sorgte nur noch dafür, daß es lief. Er deckte jeden Tag die Plane ab, kassierte das Geld, spielte Leierkasten, und die Fahrt ging los. Kinder kamen und gingen, machten ihre Fahrt, und wem es gelang, umsonst zu fahren, der freute sich. Und das geschah oft, denn der Alte versah sein Geschäft nicht mehr mit der Genauigkeit von früher, er sah nicht mehr gut. Abends deckte er das Karussell wieder zu, und für die Tiere aus Holz begann die Nacht. Aufdecken, zudecken, aufdecken, zudecken, im Kreise laufen, der Leierkasten spielt – immer dasselbe! Manchmal wurden die Zahnräder geölt, damit es nicht stehenblieb.

Auf dem Karussell gab es verschiedene Tiere aus Holz. Einen Elefanten, einen Raben, einen Hasen mit beweglichen Ohren, noch irgendwelche andere und ein blaues Pferd mit goldenen Haaren und Bernsteinaugen. Jeden Tag liefen sie denselben Weg; um sie drehte sich die Welt, und sie glaubten, sie kämen weit herum. Aber so war es nicht, denn sie waren ja angeschraubt. Da geschah eines Tages etwas Wunderbares. Die Sonne versank gerade hinter den Dächern und schien mit den letzten Strahlen durch das Gestänge. Das Licht fiel genau in das Bernsteinauge des Pferdes und leuchtete auf einmal wie hundert Feuer. Es blitzte hinüber auf die andere Seite des Karussells, berührte das schwarze Rabenauge, kam gleich wieder zurück, und das Pferd spürte mit einem Mal etwas, ich kann nicht sagen, was – wollte sich aufbäumen vor Freude, hingaloppieren zu seinem Rabenfreund. Es ging nicht, die Schrauben knarrten nur in dem Holz.

Dem Raben ging es genauso. Er wollte hochfliegen, wollte zu Pferd, jetzt, sofort! Die Schrauben hielten ganz fest. Als die nächste Fahrt begann, eilte er sich, lief hinterher, holte das Pferd aber nicht ein, denn es lief genauso schnell hinter ihm her – und sie erreichten sich nicht. Nur wenn sie wieder an die gleiche Stelle kamen, wo die Sonne durch das Gestänge schien, blitzte es für einen Augenblick auf.

Dann kam der Abend. Der alte Mann deckte das Karussell wieder zu, und für die beiden wurde es Nacht. Aber nicht so finster wie früher, denn sie konnten auf den nächsten Tag warten und auf diese Sekunden mit dem verzauberten Licht. So ging das eine ganze Weile. Wenn es regnete, hatten sie einen Trauertag. Wenn die Sonne schien, war es ein Glückstag. Der Mann merkte nichts davon. Für ihn war nur wichtig, daß das Karussell nicht stehenblieb, daß bezahlt wurde und basta!

Der schönste Tag für die beiden Freunde war, als einmal ein kleines Mädchen auf dem Raben ritt. Es hatte dann noch Geld für eine zweite Fahrt und kam durch Zufall zu dem Pferd und brachte die Berührung mit.

Eines Tages wurde die Plane nicht mehr abgedeckt. Es blieb finster. Vielleicht war der alte Mann krank geworden, oder ein Zahnrad war ausgefallen. Am Tag danach blieb es aber auch dunkel. Danach auch und schließlich für immer. Für die beiden war das eine schlimmer Zeit. Das Dach verfiel, und der Regen kam durch. Im Winter schneite es herunter und das Holz wurde morsch. Holzwürmer fraßen sich durch. Der alte Mann war gestorben.

Eines Tages kamen Männer und zerstörten das Karussell. Die Stangen wurden zerhackt und die Bretter übereinandergelegt, die Zahnräder verkauft. Sie schraubten die Tiere los und legt sie zusammen. Da geschah es, daß der Rabe direkt neben dem blauen Pferd mit den goldenen Haaren zu liegen kam. Sie wurden nicht mehr getrennt. Die Männer zündeten ein Feuer unter ihnen an, und als es flackerte, kam das verzauberte Licht wieder. Es glimmte in ihren Augen wie damals und war ganz warm. Es blieb auch nicht nur für eine Sekunde. Viel länger! Es blieb, bis das Feuer verlosch.